Ngorongoro

Wald_im_nebel

Es ist kalt an diesem frühen Morgen. Dichte Nebelschwaden verhüllen den Blick in den Ngorongoro-Krater. Im halb fertigen Licht und glanzlosen Dunst schwimmen die Schemen riesiger Nuxia-Bäume und Cassipoureen wie Kulissenbilder vor einer geheimnisvollen Bühne, deren Vorhänge noch zugezogen sind. Jetzt im Juli während der Trockenzeit können die Nächte im Hochland der Riesenkrater bitterkalt sein. Von irgendwo aus der Tiefe ertönt der Klang der Kuhglocken der Maasai-Rinder, die von ihren Hirten hinab in den Ngorongoro-Krater getrieben werden. Dass die Maasai tagsüber ihre Tiere auf den saftigen Wiesen der Caldera weiden dürfen, macht den besonderen Status des Ngorongoro-Kraters und des ihn umgebenden Schutzgebietes, der „Ngorongoro Conservation Area“, kurz NCA, aus. Bereits 1956 wurde aufgrund des heftigen Widerstandes der Maasai gegen die restriktiven Nationalparkgesetze der damals östliche Teil des jungen Serengeti-Nationalparks, ein mehr als 8000 qkm großes Gebiet, also fast das gesamte Kraterhochland, vom Kernland der Serengeti abgetrennt. In dieser Landschaft hat man den eigentlichen Besitzern, den Maasai, die Nutzungs- und Siedlungsrechte gelassen, ohne den Naturschutzgedanken dabei aufzugeben. Der Ngorongoro-Krater wird heute strenger bewacht als jeder andere Nationalpark Tansanias.
 
Blick_in_den_krater

Den schönsten Blick in die Caldera des Ngorongoro hat man von dem rotsandigen Pfad, der sich um den größeren Teil des Kraterrandes windet.

Wenn man durch den dunklen Bergregenwald aus Richtung Arusha kommend den höchsten Punkt des Weges erreicht hat, öffnen sich die Waldbestände hoher mit Usnea-Flechte bewachsner Urwaldbäume. Hinter den Schäften der Baumriesen und dem Filz von Croton- und Vernonia-Sträuchern senkt sich der Boden plötzlich zu einem riesigenkreisrunden Kessel, 600 m tiefer als der Aussichtspunkt am Kraterrand und wohl an die 20 km im Durchmesser. Der Grund dieser Caldera wird von dem dunklen, beinahe senkrechten Band der Kraterwand eingefasst, das nur nach Norden etwas sanfter abfällt, wo der Munge- Bach aus dem höheren Olmoti-Krater dem Ngorongoro sein Wasser zuträgt.

Der Anblick ist überwältigend: tief unten leuchtet die grün-goldene Ebene, in dessen Mitte der große Magadi, ein Sodasee liegt. Hinter dem nördlichen Kraterkamm erheben sich die mächtigen Buckel der alten Vulkane in tiefem Blau. 240 qkm misst die Fläche der Caldera und mehr als 25 000 Großtiere sollen hier leben, darunter die „Big Five“ der Afrika-Jäger, aber auch Gnus, Zebras und Gazellen. Während ich mich frierend im Wagen neben Ismail, meinen Fahrer, zusammenkauere und wir den Weg am Kraterrand entlang fahren, erglüht unter uns im schimmernden Dunst der Magadi See wie flüssiges Metall. Ismail ist ein junger Tansanier indischer Abstammung und arbeitet als Fahrer bei „Flycatcher Safaris“. Heute wollen wir jedoch nicht hinab in den Krater, sondern unser Weg soll uns in das einsame Kraterhochland, nördlich von Ngorongoro, führen, wo ich auf den Empaakai Krater steigen will, um von dort aus einen Blick auf den Ol Doinyo Lengai, den heiligen Berg der Maasai, werfen können. Den Ngorongoro-Krater kenne ich recht gut. Vor einigen Jahren, bei meinem ersten Besuch im Ngorongoro, war ich mit meinem Sohn für 14 Tage hierhin gekommen, um vor allem Löwen, Nashörner und Büffel zu malen. Es war Anfang April und damit Regenzeit.
 
Nashoerner_in_der_savanne

Die Natur schuf Bilder in klaren, leuchtenden Farbtönen, je nach der Stimmung des wechselnden Lichtes. Die Luft war würzig vom Salzgeruch des Magadi-Sees, und in den Wiesen balzten Riesentrapphähne mit aufgeblähten Halskrausen. Zahlreiche Weißstörche hielten sich noch hier auf und suchten im frischen Gras nach Raupen.
 
Safari02

Wir erreichen den Kraterboden mit den ersten Sonnenstrahlen. Die Formen und Farben der Ebene aber verschwimmen in der Ferne im zarten Dunst, den die nächtliche Erde ausatmet und das jenseitige Band der Kraterumfassung scheint im frühen Sonnenlicht zu schwingen. Noch zarter im lichten Blau erheben sich Sadiman und Oldeani über dem Rande des Ngorongoro mit weißen und grauen Wolkenwatten, die dunkle Flecken auf ihre Rücken tupfen.
 
Feige_im_ngorongoro

Im März bringt der Südostmonsun Regenwolken, die vom Indischen Ozean über das Hochland von Ngorongoro heranziehen und als weißer Kragen die steilen Böschungen säumen oder von Osten her föhnig über die Waldzinnen fließen. Fast täglich bauen sich quellende Wolkenmassen hoch auf und zerfließen in heftigen Regengüssen über der Ebene.
 
Hyaene1

Vor uns sahen wir oft in der weiten, von den dunklen Böschungen des Kraterrandes umrandeten Ebene einen schmalen Vorhang aus Regen dicht und schwer wie eine Schleppe hängen, Sonnenschein hier und Finsternis dort. Aus dem Schlamm an den Erosionsstufen am Seeufer erheben sich Hyänen und trotten in ihrem humpelnden Gang neben dem Wagen her und ihr erregtes Kichern und Keckern begleiten uns eine Weile. Über einer Pfütze im Weg erwartet uns eine von ihnen und schaut uns aus ihren klugen Augen an und im Wasserspiegel verdoppelt sie sich. Ich fühlte eine stille Sympathie für Hyänen. Schönheiten sind sie nicht. Mit ihrem struppigen Fell, ihrer unordentlich verlaufenen Fleckzeichnung wirken sie immer etwas raubeinig, strolchig. Im Wasser vor ihr steht regungslos ein Schmiedespornkiebitz. Als die ersten Tropfen fallen, zerfließen ihre Spiegelbilder und verlaufen zu skurrilen Form- und Farbspielen: – Schwarz-Weiß und Grau-Braun.
Manchmal waren die Tage trübe und verhangen, triefend vor Regen. Auf der Windschutzscheibe perlten kleine Bäche hinab und die Welt dahinter war grau und fade. Im verschwommenen Grau-Grün des Regentages blieben die Tiere unsichtbar. Voller Trübsinn kehrten wir zur Lodge zurück.
 
Elefanten

Damals war Joseph Shayo von „Ranger Safaris“, ein stämmiger und freundlicher Mann aus Moshi vom Fuße des Kilimanjaro unser Fahrer. Er begleitete uns 3 Wochen durch Nordtansania und wir waren bald Freunde. Früh morgens fuhren wir noch in tiefer Dunkelheit in den Krater. Wir wohnten in der Sopa-Lodge am Nordrand und unser Weg führte uns durch einen dichten Wald Abessinischer Akazien und mächtiger Feigen. Ziegenmelker saßen auf den Fahrspuren des Weges, der sich unterhalb des Waldkragens in das mit Flötenakazien bestandene Buschland senkte.
 
Nashoerner_im_lerai_wald

Im Lerai-Wald sahen wir einmal eine Nashornmutter mit ihrem Kalb vor der Kulisse der nebelverhangen, filigranen Fieberakazien. In dieser frühen Morgenstunde sahen sie zwischen den hochaufragenden Bäumen wie Scherenschnittbilder in einem Märchenspiel aus.
 
Bueffel

Aus den feuchten, grünen Wiesen kamen Büffel mit schimmernden Hörnern dicht an unserem Wagen vorbei, eine Bullengruppe von vielleicht fünfzehn Tieren, alles Veteranen, kampferprobt und kampfgezeichnet. Im goldenen Licht der aufgehenden Sonne umgaben Wolken von Fliegen die Büffel. Der hellgraue Schlamm der Senken, in dem sie sich zu suhlen lieben, hing nach dem Trocknen in dicken Zotteln und Placken im dünnen Fell und ließ den Körper weißgepudert und fleckig aussehen. Sie erschienen uns wie grob geschlagenes, geädertes Marmorgestein, urig und kantig, Plastiken ohne Feinschliff. In ihrem Wesen, in dem Blick aus den rollenden Augen, dem herabhängenden Maul lag Missmut und teilnahmslose Sturheit, etwas Archaisches furchteinflößender Wildheit. Manchmal hocken weiße Kuhreiher auf ihrem Rücken, zu keinem anderen
Zweck, als die bequeme Aussicht von dort oben zu genießen.
 
Zebras_und_gnus

Eines Morgens standen zahlreiche Gnus und Zebras standen in den Wiesen und in dem gerade erwachenden Licht waren sie dunkle Flecken im Morgennebel.
Eines Morgens war es, als hätte eine unsichtbare Hand sanft das hohe Rhodes-Gras der Ebene berührt. Im wogenden Grasmeer waren unsichtbare Jäger unterwegs. Und plötzlich kam Bewegung in die Weidetiere, so wie ein heftiger, unerwarteter Windstoß Bewegung in einen Haufen trockener Blätter bringt. In kopfloser Flucht stürzten sie sich talwärts. Eines nach dem andern überquerten sie in rasendem Galopp den Weg vor unserem Fahrzeug. Immer mehr brachen durch das niedere Gesträuch, bis sich ein ganzer Strom von Tierleibern um uns herum drängelnd und stoßend in die Senke unterhalb des Weges wälzte. Über dem dichten Bodennebel, der den Wiesenmatten auflag, sahen wir weitere Leiber, langgestreckt und pfeilschnell dahinschießen, ohne dass wir zunächst verstanden, was dort geschah.
In der Senke waren die Herden inzwischen wieder zur Ruhe gekommen, und aus der Entfernung ertönte das Blöken der Gnus und das aufgeregte, helle Bellen der Zebras.
 
Mungeloewen

Der Tod hatte die ahnungslosen Gnus in der Dunkelheit überrascht. Drei Löwinnen hatten ein Tier aus der Herde getrennt und zu Boden gerissen. Toll vor Angst und in einer letzten verzweifelten Geste versuchte es sich zu befreien, sich auf den Vorderläufen aufzurichten und Tritt zu fassen. Vergebens. Die Pranken der Katzen hielten ihr Opfer am Hinterleib fest gepackt.
Das Gnu war tot. Seine Läufe ragten wie schwarze Stöcke in den perlblassen Himmel. Die Löwinnen lagen erschöpft daneben. Doch das Drama war noch nicht zu Ende. Es war mittlerweile so hell, dass wir die diesseitige Kraterböschung als dunklen Hintergrund erkennen konnten. Aus den lichtlosen Falten des Geländes tauchten vier Löwenkater wie Unholde aus der Unterwelt auf, rüde und grobe Gesellen, mit hängenden Lefzen und vertrieben die Löwinnen vom Riss. Diese trollten sich murrend und ließen sich abseits ins nasse Gras fallen.
Als sich die Löwen über die Beute hermachten, wurde mir übel vom warmen Geruch des Blutes und des Pansens.
Die vier Löwen rissen und zerrten an dem toten Gnu, tauchten in den geöffneten Leib ein und lösten das Fleisch an langen, sehnigen Fäden. Wenn sie sich zu nahe kamen, hoben sie ihre vom Blut dunklen Köpfe, schnappten, fauchten und grollten.
 
Loewenpaar

Mittlerweile hatten wir unsere Fahrt fortgesetzt und als wir nach zwei Stunden zurück kamen, sind die Löwen verschwunden und mit den Resten des Gnus ist die übliche Gilde der Abdecker und Leichenfledderer beschäftigt. Auf dem Weg nach Nainokanoka, 15 km nördlich von Ngorongoro.Als wir den Wald verlassen, löst sich der Nebel mehr und mehr auf. Ein goldenes Flimmern
erfüllt die Luft und kündigt die Wärme des Tages an. Maasai mit Eseln, Ziegen oder Rindern haben ihre Spuren im weichen, rostfarbenen Staub des Weges hinterlassen. Kleine Gruppen von Maasai-Hirten in ihren leuchtend roten Shukas begegnen uns auf ihrem Weg nach Ngorongoro. Sie treiben ihre mageren, kleinen Tiere mit lauten Rufen und leichten Stößen ihrer langen Stöcke an. Im Vorüberfahren winken sie uns zu. Fahrzeuge und gar Touristen sind hier selten.
 
Maasaifrau

Nainokanoka am Fuße des Olmoti ist eine der wenigen befestigten Maasai Siedlungen, ein armseliger Ort – blau, rosa oder weiß gestrichenen Häuser mit Verandas und Wellblechdächern, vom Staub ockerfarbene Fassaden, Staub oder Schlamm, je nach Jahreszeit, rote Wege mit tiefen Spurrinnen wie Wunden im hellen Grün der Anpflanzungen. Wir sind mit einem der Wildhüter des NCA verabredet. Den Wildhüter finden wir nicht gleich. In seinem Büro in dem schäbigen Verwaltungshaus des NCA ist er nicht. Ismail fragt, wo er wohnt. Sein Haus liegt etwas außerhalb inmitten der Anpflanzungen und unter hohen Eukalyptusbäumen. Die Bäume wurden während der Kolonialzeit nach Afrika gebracht, um als Schattenschutz für die Kaffeeplantagen zu dienen. Zahlreiche Kinder umlagern unser Auto und schauen uns neugierig an. Alle sind vom Kopf bis Fuß mit dem rostfarbenen Staub ihrer Erde bedeckt. Der Wildhüter ist zu Hause. Er steigt mit seinem Gewehr zu uns ins Auto. Yussuf ist sein Name, ein ernster und verschlossener Mann mit wachen Augen. Wie ich bald bemerke, ist er etwas schwerhörig. Als wir den Ort verlassen, hat die Sonne die letzten Dunstschleier aufgesogen und verspricht einen warmen Tag. Der beschwerliche Weg führte durch die baumlose Bulbul-Senke und über die mit fast verblühten gelben Kilimandscharo-Zweizahnblumen und hartem Büschelgras übersäte Steppe. Die Bulbul-Senke ist ein weitläufiges Gebiet, sonnendurchglüht, einsam und von hohen Kraterbergen eingeschlossen: Ngorongoro im Süden, Olmoti im Westen, Empaakai im Norden und Lolmalasin im Osten, alle über 3000 m hoch. Sie alle sind erloschene Vulkane, alle, außer dem Ol Doinyo Lengai jenseits der Grenzen des Ngorongoro Schutzgebietes. In der Ferne, Meilen entfernt vor uns, rührt der Wind kleine Staubteufel aus dem trockenen Gras der Ebene auf. Goldbraune Thomson-gazellen verschmelzen mit den Farben des Landes. Als wir näherkommen, tanzen sie aufgeregt mit blitzenden weißen Flanken davon.
 
Thomson_gazellen

Unterhalb des Lolmalasin, auf dessen Flanken Sonne und Wolken tiefblaue Farben malen, hüten Maasai-Jungen ihre weißbunten Ziegenherden. Aus der Entfernung sehen sie mit ihren roten Shukas wie Mohnblumen aus im fahlen Grau des Steppengrases. Bei diesem Anblick überkommt mich ein Gefühl tiefster Einsamkeit: alles scheint in eintöniger Regungslosigkeit zu verharren. Zwischen den tiefen Klüften der Berge und der scheinbar unendlichen Ebene vergrößern sich die Maße zu riesenhaften Räumen, in denen der Himmel höher gehängt ist, in denen die Proportionen verlorengegangen sind. Unterhalb des Empaakai bei einer mit einer Dornhecke umsäumten Maasai-Boma verlassen wir den Wagen und beginnen zu Fuß mit dem Anstieg des Empaakai. Dürre Dornsträucher krümmen sich aus dem ausgebleichten Gras. Zwei Maasai begleiten uns, warum weiß ich nicht, vielleicht haben sie nichts Besseres zu tun, oder sie sind einfach neugierig, was wir dort oben treiben werden. Gegen Mittag erreichen wir den Kraterrand des Empaakai. Unterwegs zeigt sich zwischen hohen Hagenien ein wuchtiger Berg: der Kerimasi. Auf den Almwiesen wachsen vereinzelnd rote Gladiolen, die nur hier in dieser Höhe vorkommen. Der Kraterrand ist dicht mit Gebüsch bewachsen, das hin und wieder einen Blick in die Tiefe der Caldera erlaubt. Die Caldera ist viel kleiner als die des Ngorongoro, vielleicht nur 5 km im Durchmesser und fast vollständig von einem Sodasee bedeckt. Es ist ruhig hier oben nur unterbrochen vom klagenden Pfeifen eines Rosenbrust-Pipers Auf einem ausgebleichten Büffelschädel hocken Ameisenrußschmätzer. Wie die Gladiolen kommen auch sie nur in den Höhen des Kraterhochlandes vor. Jenseits des Pfades zwischen den Hagenien erfüllt jetzt die riesige Glockenform des Ol Doinyo Lengai den Horizont, eine Erscheinung, zartblau in der Entfernung, unnahbar und erhaben, mit tiefen Furchen und Rinnen die seine Flanken hinablaufen, der Berg Gottes, der letzte tätige Vulkan im Land der Riesenkrater. Meist ist er von Wolken umhüllt, doch heute zeigt er sich in seiner ganzen Größe.
 
Ol_doinyo_lengai

Die beiden Maasai und Ismail setzen sich an den Wiesenrand, während Yussuf das Gebüsch durchsucht. „Hier geht es“, sagt er schließlich. Er winkt mir zu und dringt in eine schmale Öffnung des Gebüschs ein. Es ist ein Büffelpfad hinab in den Krater. Ich bin verstört und müde, den Abstieg in den Krater traue ich mir fast nicht mehr zu, den Rückweg hinauf fürchte ich noch mehr. Doch, um mir keine Blöße zu geben folge ich Yussuf.

Eine Stunde brauche man wohl, so Yussuf, für den Abstieg in die 600m tiefer gelegene Caldera, eine Stunde wieder hinauf. In einem Reiseführer las ich, für Ab- und Aufstieg in den Krater müsse man rund 4 Stunden veranschlagen, zumal in der ungewohnten Höhe jede Anstrengung zur Mühsal werden kann. Aber es sind bestimmt nicht viele Reisende, die hier hin kommen.

Unterhalb der dichten Vegetation am Kraterrand fällt die Böschung fast senkrecht ab. Der Pfad ist schmal, kaum zu erkennen und dicht mit Ranken überwuchert, die das Gehen erschweren, ja sogar gefährlich machen. Beim Gehen verfängt man sich, wenn man unachtsam ist, mit dem Fuß in diesen Ranken. In endlosen Kehren führt der Pfad immer weiter bergab. Überall blühen weiße und violette Blumen. Dann sind wir unten im dichten Urwald des Kraterbodens, der den See umsäumt. Wir entdecken frische Büffelspuren und feuchte Losung und bahnen uns vorsichtig den Weg durch das verfilzte Blattwerk, bis wir schließlich am Ufer des Sees angelangt sind. Ich schaue sehnsüchtig zum Kraterrand hinauf. Es ist still hier unten, eine gespannte Stille. Yussuf meint, es müssten Büffel ganz in der Nähe sein, man spüre es förmlich.

Das Ufer des Sees ist von einer breiten Sodakruste umsäumt. Im Wasser stehen einige abgestorbene Bäume. Durch die starken Regenfälle im vorausgegangenen Jahr hat sich der See ungemein verbreitert. Manchmal kommen Flamingos vom Natronsee, jenseits des Lengai in die Sodaseen der Kratercalderas. Wegen der fortgeschrittenen Tageszeit begeben wir uns wieder auf den Rückweg. Ich stapfe tapfer hinter Yussuf her die Kehren des Weges hinauf. Schon bald aber verlassen mich die Kräfte und ich bleibe stehen. „Yussuf“ rufe ich, „warte!“, aber da er schwerhörig ist, hört er nicht. Erst als er, schon ein ordentliches Stück weiter bergan, meine Schwäche bemerkt, wartet er. So quäle ich mich denn: ein paar Schritte, eine kleine Pause, ein paar Schritte und wieder eine Verschnaufpause. Nach einer Stunde haben wir es tatsächlich geschafft. Als wir oben sind, klopft mir Yussuf anerkennend auf die Schulter und lächelt, es ist sein erstes Lächeln, seit wir uns kennen.

Am Abend nach meiner Rückkehr vom Kraterhochland treffe ich mich mit Joseph. Wir haben uns vor einigen Tagen per Funk in der Sopa-Lodge am Ngorongoro verabredet. Ismail kommt auch mit. Wir plaudern von unseren gemeinsamen Erlebnissen und verbringen einen schönen Abend. Was Ismail, der mit Joseph befreundet ist, nicht weiß, dass uns drei eine kleine Begebenheit verbindet, die sich bei meinem ersten Aufenthalt im Ngorongoro abspielte.
 
Leopard1

Bei unserer Abfahrt von Ngorongoro damals hielt vor uns plötzlich unterhalb der Sopa-Lodge ein Wagen des Safariunternehmens „Flycatcher“. Der Fahrer teilte Joseph mit, ein Leopard müsse ganz in der Nähe sein. Dieser Fahrer war Ismail. Er hatte das Tier schon im Gebüsch gesehen. Und dann trat tatsächlich eine Leopardendame auf den Weg. Völlig gelassen und ohne uns die geringste Beachtung zu schenken, schritt sie, sich ihrer Schönheit vollständig bewusst, den Weg entlang. Wir folgten ihr, Wagen neben Wagen. Nun sind Leoparden keineswegs selten. Da sie sich jedoch völlig unsichtbar machen können, wenn sie nicht gesehen werden wollen, und meistens wollen sie das nicht, gibt es nicht wenige Safari-Touristen, die während ihres Aufenthalts keinen Leoparden gesehen haben. Deshalb kann sich auch Ismail gut an diese Begegnung erinnern. Nach vielleicht hundert Meter drehte sie sich zu uns um und schenkte uns einen langen Blick aus ihren blassgelben Augen, bevor sie dann im dichten Geäst einer Würgefeige verschwand.

(aus Ngorongoro) Text von Bodo Meier
 
ElefantNgorongor